Rahmen und Bühne

Schinkel, Höger, Döllgast: William Mann, einer von drei Partnern des Londoner Architekturbüros Witherford Watson Mann, kennt die Baugeschichte und hat sie beim Entwerfen ebenso im Blick wie den jeweiligen städtebaulichen Kontext. Das Büro hat reiche Erfahrungen mit Backsteinbauten. Astley Castle gehört zu den bekanntesten Entwürfen; dem Projekt wurde 2014 der Fritz-Höger-Preis in Gold zugesprochen. 2020 gab es wieder Gold in der Kategorie Büro- und Gewerbebauten für das Brickfields Business Centre im Londoner Stadtteil Hoxton.

Witherford Watson Mann Architects: Christopher Watson (l.), William Mann (m.) und Stephen Witherford (r.)

Das Durchblättern Ihrer Projekte zeigt, dass Backstein auch für Ihre Arbeit sehr wichtig ist. Ein prominentes Beispiel ist Astley Castle.

WM: Das ist richtig. Die Frage bei Astley Castle war nicht so sehr, was wir dort tun durften, sondern, was wir tun mussten, denn die Ruine drohte zusammenzubrechen. Unsere Backstein-Interventionen sind dazu da, die Überreste des Wasserschlosses zu stabilisieren. Wir haben Ziegel verwendet, weil er günstiger ist als Naturstein, aber vor allem wegen seiner Farbe und haptischen Qualitäten. Die unterschiedlichen Strukturen der Oberfläche verdeutlichen sehr schön den Unterschied zwischen Alt und Neu, die Kombination von Kontinuität und Nicht-Kontinuität. Wir überlegen bei den meisten Aufgaben, ob Backstein eine mögliche Antwort ist. Zwei unserer Projekte in London, eines aus den Anfangszeiten unseres Büros und eines aus der jüngsten Vergangenheit, sind einander sehr verwandt: ein Bau für Amnesty International auf einem ehemaligen Klosterareal und das Brickfields Business Centre. In beiden Fällen haben wir „fire clay” verwendet. Das ist ein blaubrauner Stein, der eine sehr harte und leicht reflektierende Oberfläche hat. Für Brickfields wollten wir ein noch weiteres Feld an Farben. Zusammen mit der Reflektionsfähigkeit macht es das Gebäude sehr lebendig, denn die Sonne wandert um das Haus und lässt es bei jedem Licht anders erscheinen. Was mir auffällt und ich zunehmend beachte, ist, wie Gebäude altern. London ist eine schmutzige Stadt, also müssen die Wände geschützt werden. Dafür verwenden wir Mauerabdeckungen, die ein Stück vorstehen – old school also. Und dann eben die harten Ziegel, die nicht unbedingt typisch für London sind, aber ein guter Schutz gegen Nässe und Verschmutzung. Unser Amnesty- Gebäude ist jetzt 16 Jahre alt und noch genauso schön wie zur Fertigstellung. Es ist unglaublich gut gealtert, dank des harten Backsteins.

Ein Vorgänger des Brickfields Business Centre ist der inzwischen 16 Jahre alte Bau für Amnesty International im benachbarten Stadtteil Shoreditch.

Wie muss Architektur reagieren oder anderes: Wie kann Architektur diese Veränderungen unterstützen?

WM: Interessante Frage. Für mich sind Gebäude eigentlich untimely, was Nietzsche unzeitgemäß nennt. Sie reagieren langsam, haben eine problematische Beziehung zur Gegenwart. Weil sich unsere Nutzungsarten und Anforderungen ständig wandeln, brauchen wir Gebäude, die elastisch sind, die nach Bedarf wachsen oder schrumpfen können – aber das widerspricht ihrem Wesen. Damit sich das ändert, muss sofort etwas passieren, und zwar nicht nur physisch, sondern auch politisch. Die Freude, Architekt zu sein, kommt auch daher, dass die Effekte von Veränderungen eher indirekt geschehen, man beobachtet und reagiert dann. Es ist interessant zu spekulieren – gerade große, immer dichtere Städte brauchen Ideen, beispielsweise gemischtere Lebensformen und weniger Pendelei zwischen Arbeits- und weit außerhalb liegenden Wohnorten. Was uns zum Hauptproblem der Metropolen führt: die überteuerten Bodenpreise. Aber es gibt interessante Überlegungen zur Polyzentralität. Warum etwa nicht auch in den Vororten Fabrikareale verdichten, reparieren und Arbeitsplätze anbieten? Wir haben dazu gerade eine Studie gemacht.

 

Wie beurteilen Sie die sozialen Veränderungen, die der Umbau, die Umnutzung und Aufwertung von Stadtarealen mit sich bringen? Nicht alle sehen das positiv.

WM: Städte ändern sich nun mal, das kann man nicht aufhalten. Sie kennen Ebenezer Howard, und ich meine jetzt nicht seine gestalterische, sondern seine politische Rolle. Er war Anarchist und stellte die Bodenpreise und Verteilung von Grundstücken in Stadtzentren in Frage. An seinem Modell, Stadtzentren zu entflechten und die Stadtränder zu stärken, haben sich die europäischen Stadtplaner lange orientiert. Das ging aber in den 1980er-Jahren zurück; jetzt scheint es kein Gegengewicht mehr zu der magnetischen Macht explodierender Bodenpreise zu geben. Nicht im darwinistischen London, aber auch nicht in anderen europäischen Städten.

Der Lichthof hat sich schnell zur informellen Begegnungsfläche entwickelt und wird auch zum Arbeiten genutzt.

Was uns wieder zu dem Aspekt bringt, wie Architektur das, was später in ihr stattfindet, unterstützen kann.

WM: Exakt. Ich lasse den Begriff Architektur allmählich aus meinem Wortschatz verschwinden. Gebäude ist konkreter. Gebäude können einen Vorschlag machen, nicht alles bestimmen. Sie sind Rahmen und auch Bühne für ihre Nutzer. Sorgfältig geplant, können sie face-to-face-Kommunikation und ständigen Wandel unterstützen. Das Verständnis dafür, was Gebäude tun, aber auch dafür, was sie nicht leisten können, und zwar konstruktiv und sozial, ist für Architekten fundamental.

 

Zum Abschluss: Welches Ihrer realisierten Gebäude ist ihr favorisiertes?

WM: Vermutlich ist das Lieblingsgebäude immer das, das als nächstes kommt.