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5Die Sieger 2011 irgendwas, das bleibt. Gib mir einfach nur ein bisschen Halt. Und wieg mich einfach nur in Sicherheit. Hol mich aus dieser schnellen Zeit, nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit, gib mir was, irgendwas, das bleibt.“ Sie werden sich fragen, was all das mit Architektur, Backstein, Fritz Höger und den zwanziger Jahren sowie mit dem heutigen Bau en zu tun ha ben soll. Sehr viel, meine ich, und das möch te ich nun sofort darlegen. Beginnen wir mit der eingangs zitierten Unsicherheit der Weimarer Republik, die Hermann Glaser als „Abgrundahnung“ auf den Begriff gebracht hat und von der ich wiederum eben gesagt habe, dass sie auch unsere Gegenwart prägt: Was heute die in immer kürzeren Abständen sich wiederholenden Finanzkrisen sind, waren unseren Großund Urgroßvätern die Inflation am Anfang und der Börsenkrach – Stichwort Schwarzer Freitag – am Ende der Weimarer Republik. Bürgerkriege und Revolution, wie sie uns umgeben, waren auch damals an der Tagesordnung. Und das Gefühl einer atemberaubenden Beschleunigung der Zeit, das uns mit der globalen Computerisie rung erfasst hat, hat seine passgenaue Entsprechung im ungeheuren Dynamismus, der in den zwanziger Jahren alle Lebensbereiche erfasste. Was Wunder also, dass auch damals die sogenannte Unterhaltungsmusik, dieser Seismograf, um nicht zu sagen Geigerzähler kollektiver Stimmungen und Kontaminationen, unentwegt vom neuen Tempo, vom alles mitreißenden Rhythmus der neuen Zeit sang. Stellvertretend für Dutzende Hits, die in den Roaring Twenties im Charlestonund Quickstepp-Rhythmus den verunsicherten Menschen aus der Seele röhrten, möchte ich den Gassenhauer Es liegt in der Luft von Mischa Spoliansky und Marcellus Schiffer zitieren, das Titellied einer ungeheuer erfolgreichen Berliner Revue, die das Phänomen der Neuen Sachlichkeit aufs Korn nahm und mitten in ihm das des Neuen Bauens. Womit wir endlich auch auf dem Gebiet der Architektur angelangt sind. Wem Spoliansky/Schiffer als Zeitzeugen zur Aussagekraft der damaligen modernen Architektur zu unseriös erscheinen, der sei auf den Philosophen Ernst Bloch aufmerksam gemacht. In seinen ersten Aufzeichnungen zu seinem späteren Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung schreibt er in den frühen dreißiger Jahren, die Architektur eines le Corbusier, Mies van der Rohe oder Wolfgang Hilbers heimer wirke steril und „wie reisefertig“. Das Gefühl von Unstetigkeit, Unbehaustheit und ständiger Unruhe, das er aus linker Perspektive beobachte, bemerkten auch und erst recht konservative und reak tionäre Kreise. Werner Hegemann zum Beispiel schrieb in seiner berühmt gewordenen Kritik der Stuttgarter Weissenhofsiedlung, ihre radikal funktionalistischen Bauten seine „Nomadenzelte aus Stahl und Beton, gemacht für den unstet schweifenden Intellektuellen der neuen unsteten Zeit.“ Hegemann, ein scharfsinniger, um Ausgleich bemühter Geist, verband sein vernichtendes Urteil mit einem Plädoyer für gemäßigtere Varianten des Neuen Bauens; NOMADENZELTE AUS STAHL UND BETON | |
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